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laubfrosch

Landkreis-Libellen vor der Linse (09.03.2010)

Der Sulinger Dietrich Kern hat sich für sein Buch "Fliegende Edelsteine" auf die Pirsch begeben / 57 Arten erfasst

Landkreis Diepholz (Hauke Gruhn) Früher Schilfjäger, Zarte Rubinjungfer, Plattbauch - Dietrich Kern hat sie schon alle vor der Kamera gehabt. Dazu musste der Sulinger auch gar nicht weit reisen, denn diese Libellenarten gibt es alle im Landkreis Diepholz. Zum Odanotologen, so nennen sich die Experten in dem Fachgebiet, wurde er eher durch Zufall. Inzwischen hat der pensionierte Lehrer für Sport und Französisch aber bereits 57 Arten erfasst - darunter einige vom Aussterben bedrohte. Höchste Zeit, das Ganze in Buchform zu bringen.

Mit Vögeln und Schmettelingen kannte sich Kern schon aus. Aber als er vor knapp 30 Jahren im Rahmen einer Flurbereinigung im Sulinger Bruch unterwegs war, um seltene und schützenswerte Tierarten zu sichten, hatte er mit Libellen noch nicht viel am Hut. Aber dann wurde er fündig, entdeckte sogar eine in ihrer Existenz bedrohte Libellenart. "Das war schon eine kleine Sensation", erinnert sich der heute 75-jährige. "Da wurde sogar das Niedersächsiche Landesamt für Ökologie aufmerksam." Schließlich kam Kern mit der Gesellschaft deutschsprachiger Odanotologen in Kontakt. "Die gaben mir auch viele Literaturtipps." Wie viele Bücher er inzwischen über Libellen gelesen hat? Kern schmunzelt und streckt die Arme auseinander. Will heißen: Rund zwei Meter Literatur dürfte er schon locker verschlungen haben.

Dabei war die Zusammenarbeit mit den studierten Experten manchmal ganz schön fordernd, erzählt Kern. "Den ersten Aufsatz, den ich für eine Fachzeitschrift geschrieben habe, bekam ich fünfmal von der Redaktion zurückgeschickt. Da war ganz schön viel rot angestrichen." Mit der Zeit lernte er aber, für die Experten zu schreiben und Fachbegriffe korrekt zu verwenden. Schließlich wurde der Autodidakt selbst zum Libellen-Profi: Unzählige Fotos machte er bei seinen Touren durch den Landkreis. Gebänderte Prachtlibellen kamen ihm vor seine Linse, er machte Bekanntschaft mit der Gemeinen Binsenjungfer und dem Großen Granatauge. Was für den Laien einfach nur irgendeine Libelle ist, weckt in Dietrich Kern den Forscherdrang. Dann muss auch gleich die genaue Art bestimmt werden. "Mich ärgert es, wenn jemand das nur mit Hilfe von Wikipedia oder Google versucht", sagt der Sulinger. "Da kann eine Menge schiefgehen."

Vor knapp einem Jahr lernte Dietrich Kern den Weyer Gemeindearchivar, Naturfreund und Verleger Wilfried Meyer kennen. "Das war bei seinem Vortrag über Libellen beim NABU in Weye", erinnert sich Meyer. "Damals wusste ich noch nicht, dass er bereits mit der Stiftung Naturschutz des Landkreises Diepholz Kontakt aufgenommen hatte wegen seines Buchprojekts." Shließlich fragte eben jene Stiftung bei Meyer an, ob nicht er das Libellen-Buch von Dietrich Kern in Angriff nehmen wolle. So kam eines zum anderen.

"Ich bin kein Libellenkundler, aber die Fotos haben mich sofort fasziniert", sagt Meyer. Aus seiner Sicht können engagierte Hobby-Forscher in vielen Bereichen durchaus das Niveau der hauptamtlichen Kollegen erreichen. "Herzblut kann man nicht studieren", betont der Weyer, der erst kürzlich das Buchprojekt "Naturschätze im Landkreis Diepholz" für die Stiftung Naturschutz federführend bearbeitet hatte.

So manchen Erfolg hat Dietrich Kern im Laufe der Jahre für sich verbuchen können. Der Libellenfreund stoppte nach dem Fund einer seltenen Population sogar mal ein Planfeststellungsverfahren. "Manche Landwirte sehen das durchaus kritisch", wirft Wilfried Meyer ein. "Wichtig ist es dann, nicht auf Konfrontationskurs zu gehen, sondern eine Lösung zu finden." Beim Schutz der Libellen geht es immer auch um Wasser. Oder um die "Hydrologie", wie Dietrich Kern zu sagen plegt. Denn Libellen verbringen den Großteil ihres Lebens im oder am Wasser. Die Larven haben dabei die sechs- bis 18-fache Lebensdauer im Vergleich zu den geflügelten ausgewachsenen Tieren, die meist nur einen Sommer durch die Gegend flattern. Der Weg von der Larve zur richtigen Libelle führt immer über die Häutung. "Anhand der abgestreiften Larvenhaut kann man die Art bestimmen und eventuell Schutzmaßnahmen für die Libellen ergreifen", erklärt Dietrich Kern.

Zum Fotografieren brauchte der Sulinger derweil viel Geduld und Glück. "Libellen sind scheue Tiere", erzählt er. Teilweise wurden die Fotos mit 180er-Makro-Objektiv aus größerer Entfernung gemacht. "Bei einer hohen Auflösung kann man heute ohne starken Qualitätsverlust nachträglich vergrößern", sagt Kern. Besonders oft wurde er am Rieder See bei Ahausen fündig. Die Hache ist, was Libellen angeht, allerdings eher Brachland. "Libellen sind ein Indikator für den Zustand eines Lebensraumes. Und die Fließgewässer im Landkreis Diepholz sind ökologisch in einem sehr schlechten Zustand."

Dietrich Kern fotografierte nicht nur zahlreiche Libellen für sein erstes Buch, er steuerte auch alle Zeichnungen bei. Nach seinen Artikeln für die Fachwelt musste er sich allerdings umstellen. Weniger lateinische Fachausdrücke, mehr allgemeinverständliche Sätze. Für Kern ein Balanceakt: "Ich wollte ja auch nicht vor der Fachwelt untergehen..."

30 Jahre Forschung, drei Monate Verarbeitung und Gestaltung, drei Wochen Druck und Buchbindung: Herausgekommen ist ein umfangreiches Werk mit dem Titel "Fliegende Edelsteine", dass nicht nur für hauptamtliche Libellenforscher von Interesse sein dürfte. Deshalb werden auch alle Schulen und Bibliotheken im Landkreis mit einem Gratisexemplar versorgt. Der Reinerlös aus den übrigen, für 16 Euro im Handel verkauften Büchern (die Auflage liegt bei 600 Stück) fließt zurück an die Stiftung Naturschutz im Landkreis Diepholz.

Quelle: Weserkurier vom 09.03.2010