Die lautlosen Jäger
Libellen auf der Spur: Dietrich Kern hat 57 Arten im Landkreis nachgewiesen
Sulingen - Von Anke Seidel. Dragonfly – Drachenfliege – so nennen die Engländer die lautlosen Jäger, die Wasser zum Überleben brauchen. Glaubt man der keltischen Mythologie, dann flogen auf diesen „kleinen Drachen“ einst Feen. Gemeint sind Libellen, die in ihren schillernden Farben und Formen Menschen immer wieder faszinieren. Dietrich Kern lebt diese Faszination seit mehr als drei Jahrzehnten. Seit den 1980er-Jahren ist der heute 80-jährige Sulinger den Libellen auf der Spur und hat längst ein umfassendes Buch über sie geschrieben.
„Fliegende Edelsteine“ lautet der Titel dieses Werkes, das die Stiftung Naturschutz bereits vor einigen Jahren herausgegeben hat und das bei Verleger Wilfried Meyer in Weyhe (E-Mail:
„Die Libelle ist ein reines Raubtier“, so Kern. Sie ernähre sich von Fliegen und Mücken – genauso wie ihre Larven: „Sie sind reine Fleischfresser“, erklärt der pensionierte Gymnasiallehrer. Umgekehrt könne eine gerade geschlüpfte Libelle Opfer einer Spinne oder einer Bachstelze werden – nämlich dann, solange ihre Flügel noch nicht trocken sind und sie deshalb noch bewegungsunfähig ist.
Von der Larve zum schillernden Flugkünstler: Mit der Kamera hat der 80-jährige Sulinger die Metamorphose der Libelle genau dokumentiert – und ungezählte Larvenhüllen gesammelt. Sie sind wertvolle Beweise für die Lebensräume verschiedener Libellen-Arten.
Blaugrüne Mosaikjungfer, große Königslibelle, Plattbauch-, Pech- oder frühe Adonislibelle: Klangvolle Namen haben die Menschen den verschiedenen Arten dieser Flugkünstler gegeben, die zunehmend auch an heimischen Gartenteichen auftauchen.
Sage und schreibe 57 Libellen-Arten hat Dietrich Kern im Landkreis Diepholz nachgewiesen. Zum Vergleich: Laut dem Internet-Forum Libellen.de gibt es europaweit 165. „Die Okeler Sandgrube ist sehr reich an Arten“, sagt Dietrich Kern. An nur einem Sonntag habe er dort 14 verschiedene Arten festgestellt – insgesamt seien es mehr als 20, so der erfahrene Libellen-Beobachter. Er weiß: „Sie fliegen nur einen Sommer“, denn die durchschnittliche Lebensdauer einer Libelle liege zwischen zwei und vier Wochen. Je nach Art könne die Spanne auch etwas länger sein. Ein Jahr allerdings brauche ein Ei, um sich bis zur Libelle zu entwickeln.
Erfahren hat Dietrich Kern aber auch, dass manche Menschen den Libellen, die bereits vor 300 Millionen Jahren auf der Erde existierten, noch immer skeptisch gegenüberstehen: „Sie ist genau auf mich zugeflogen und wollte mich stechen“, erinnert er sich an eine angstvolle Schilderung – und kann alle Skeptiker beruhigen: „Libellen können nicht stechen!“ Gleichwohl falle eine Art durch so etwas wie Neugier auf: „Die blaugrüne Mosaikjungfer kann man sogar in der Stadt sehen, wenn sie Nahrung sucht.“ Zweig für Zweig suche diese Libelle ab – nicht zu verwechseln mit der großen Königslibelle, deren Charakteristika ihr langgestreckter Leib mit dem typischen schwarzen Streifen auf dem Rücken ist. Anders als die umherstreifende blaugrüne Mosaikjungfer bleibe die große Königslibelle immer am gleichen Gewässer: „Wenn es passt...“ Unberührte Natur – das ist für Libellen der ideale Lebensraum. Allein Wasserflächen oder Teiche anzulegen, sei nicht ausreichend: „Man muss sich auch darum kümmern.“ Denn sonst würden diese Feuchtflächen zuwachsen, Blätter ins Wasser fallen und die Qualität des Gewässers sehr stark verändern – alles andere als ein gutes Klima für Libellen.
Leben können einige Arten durchaus auch am Gartenteich – die blaugrüne Mosaikjungfer ebenso wie die Pechlibelle mit ihrem typischen blauen Neonfleck am Hinterleib oder die leuchtend rote, so genannte frühe Adonislibelle.
Und welches ist die seltenste Libelle im Landkreis Diepholz? „Die Helm-Azurjungfer“, antwortet Dietrich Kern – eine nach der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie geschützte Art, die auf der roten Liste steht: „Sie gibt es noch in einigen Fließgewässern zwischen Sulingen und Barenburg.“
Mit dem zuständigen Unterhaltungsverband steht Dietrich Kern im engen Kontakt, um den Lebensraum dieser selten Libelle möglichst zu schützen – ebenso mit Fachleuten in der Kreisverwaltung.
Quelle: Kreiszeitung vom 09.08.2014